Wenn Menschen Tiere verformen: Ein Ruf nach mehr Qualitätskontrolle in der Hundezucht

Ist der Mensch die »Krone der Schöpfung«? Bei Betrachtung der Entwicklung der Hundezucht in den vergangenen Jahrzehnten kann diese Frage wohl nicht eindeutig beantwortet werden. Aus funktionalen gesunden Hunden hat der Mensch kranke Krüppel mit ­lebensbedrohlichen Einschränkungen gemacht. Wann kommt die Kehrtwende? Eine kritische Betrachtung von Prof. Dr. med. vet. Gerhard U. Oechtering.

Was ist falsch gelaufen, wenn diejenigen, die dafür sorgten, dass sich die Hundezucht nicht unkontrolliert in den Hinterhöfen abspielte, sondern in der Hand von erfahrenen Züchtern vollzogen wurde – unter der strengen Überwachung von Zuchtwarten und Richtern, die einem strengen Regelwerk von Zuchtbestimmungen und Rassestandards folgen – plötzlich am Pranger stehen? Wenn ihnen vehement und immer lauter werdend rund um den ganzen Erdball vorgeworfen wird, dass ihr Tun, das Züchten von Rassehunden, unsere Hunde erst krank macht? Nach jahrelangem, leisen Grummeln ist die Kritik in den letzten Jahren mit lautem Getöse hervorgebrochen. Die Medien verkünden es nach einem fulminanten Paukenschlag von Jemima Harrison, die für die BBC den aufrüttelnden Beitrag »Pedigree dogs exposed« (etwa: »Entlarvte Rassehundezucht«) produzierte. Ein Film, ausgestrahlt zur besten Sendezeit, der nicht nur im englischen Mutterland der Hundezuchtvereine eine Tsunami-ähnliche Auswirkung auf das Ansehen des »British Kennel Club« hatte.
Das große öffentliche Interesse hat auch die Wissenschaft bewegt. Die bis dato leisen Kritiker wurden lauter, die große wissenschaftliche Mehrheit aber wurde erst nach und nach geweckt und reagiert noch immer zögerlich. Plötzlich sind diese Themen auch für die Editoren wissenschaftlicher Zeitschriften interessant und werden mit Vorzug publiziert. Ganze wissenschaftliche Kongresse beschäftigen sich nun mit den Folgen vereinsmäßiger Hundezucht – und die Kritik wird immer lauter.

Erfolg im »Hundeberuf« – eine gute Qualitätskontrolle über Jahrtausende
Der Hund ist der älteste Weggefährte des Menschen. Kein anderes Tier hat es besser gelernt, uns zu verstehen und unseren Wünschen zu folgen. Gleichzeitig ist aber auch kein anderes Haustier von uns in Form und Aussehen stärker manipuliert worden. Über viele Jahrtausende waren Jagd und Viehhaltung ohne die Hilfe des Hundes undenkbar. Viele weitere »Hundeberufe« entwickelten sich im Laufe der Zeit. Dabei war der Mensch angewiesen auf leistungsfähige und gesunde Hunde, das Aussehen war von weit untergeordneter Bedeutung. Die Qualitätskontrolle der Zucht war einfach: Ausschlaggebend war die Leistung, die der Hund in seiner jeweiligen Verwendung erbrachte.

Die beginnende Industrialisierung machte die klassischen Berufe des Hundes zunehmend überflüssig, die Hundezucht richtete sich neu aus. Parallel zur Leistungszucht entwickelte sich eine Zucht auf äußere Merkmale, also auf Schönheit. Der gesellschaftlichen Entwicklung ­folgend, schließen sich Bürger in Vereinen zusammen, erstmalig im Jahr 1873. Man trifft sich zu Schauveranstaltungen und prämiert »schöne« Hunde. Die bis dato selbstverständliche Qualitätskontrolle durch »gute Leistung« bei »guter Gesundheit« wird bei der Zucht von Schau-Hunden durch »schönes Aussehen« ersetzt. Neu erfundene »Qualitäten«, sogenannte Rassestandards, eine Mischung aus einer Beschreibung äußerer Merkmale und bestimmter, oft vermenschlichter Charaktereigenschaften, bestimmen die Zucht. Wir Menschen züchten Hunde seit über 15.000 Jahren – eine faszinierende Erfolgsgeschichte. Seit 150 Jahren bestimmen Zuchtvereine das Geschehen – eine Geschichte mit vielen Fragezeichen.

Die im Schauring zu erbringende körperliche Leistung besteht im Bewältigen von wenigen Runden. Es bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Ausführungen, um deutlich zu machen, dass man diese Aufgabe auch mit sehr reduzierter körperlicher Gesundheit überstehen kann. Es ist ebenso offensichtlich, dass der Hunderichter– ein medizinischer Laie – meist selber Züchter einer Schaurasse, nicht in der Lage sein kann, in wenigen Minuten durch äußere Betrachtung und Kontrolle des Gebisses den Gesundheitszustand eines potenziellen Zuchttieres auch nur annähernd einzuschätzen. In der Zucht von Schau-Hunden gibt es also keine funktionierende Qualitätskontrolle.

Diese Einschätzung mag zunächst sehr hart klingen, betrachtet man aber den gegenwärtigen Krankheitsstatus in der internationalen Zucht von Schauhunden, steht man vor einem (tier)-medizinischen Desaster. Der Beweis, dass die selbst erfundenen Qualitätskontrollen der Hundezuchtvereine absolut nicht funktionieren, ist schon lange erbracht. Mehr noch, die international gültigen sogenannten »Rassestandards« enthalten erwiesenermaßen viele Formulierungen, die eine Überbetonung krank machender äußerer Merkmale fördern und so unmittelbar der Gesundheit schaden [1,2].

Brachyzephalie: Ein menschengemachtes Problem
Ein Beispiel für die gedankenlose Überbetonung äußerer Merkmale ist die extreme Brachyzephalie. Gezielte Zuchtauslese auf eine Verkürzung des Schädels hat zu dramatischer Reduktion des Splanchnokraniums, speziell von Nase und Unterkiefer geführt. Dies erfolgte aus zwei völlig unterschiedlichen Gründen. Die Bulldog-Rassen sollten im Mittelalter beim Blutsport »bullfighting« besser kämpfen können, die Kleinhunde Mops und Französische Bulldogge sollten ganz besonders niedlich aussehen und ihre kindliche Stupsnase lebenslang behalten. So sehen auch erwachsene Tiere aus wie Welpen und sprechen über das Kindchenschema fürsorgliche Instinkte in uns an.

Extreme Brachyzephalie ist eine menschengemachte Erbkrankheit, die zu schweren und lebenslang anhaltenden gesundheitlichen Schäden führt. Diese gezielte Umformung des Hundeschädels hat zu Deformationen an allen oberen Atemwegen, dem Gebiss, dem Mittelohr, den Augen und des Gehirns geführt. Die Veränderungen werden unter dem Begriff Brachyzephales Syndrom (BS) zusammengefasst. Fast alle Züchter, viele Besitzer und zu viele Tierärzte verharmlosen die Atemprobleme beim BS. Atemnot wird von Mensch und Tier immer als Lebensbedrohung empfunden.

Die Beschwerden kurznasiger Hunde können bei warmen Umgebungstemperaturen dramatisch zunehmen und zum ­Kollaps führen. Die Ursache für die extreme Wärmeempfindlichkeit ist weniger eine unzureichende Belüftung der Lunge und damit eine Störung des Gasaustausches, sondern die unzureichende Nasenatmung dieser Tiere. Im Gegensatz zum Menschen braucht der Hund für die Regulation seines Wärmehaushalts unverzichtbar eine »funktionierende« Nase: Wenn es draußen heiß ist, beginnt der Mensch zu schwitzen. Dabei wird das Wasser der Schweißdrüsen auf der großen Oberfläche der Haut verteilt und verdunstet. So entsteht die »Verdunstungskälte«, die das Blut in der Haut herunterkühlt. Hunde können nicht schwitzen wie der Mensch, sie haben kaum Schweißdrüsen, Hunde hecheln. Aber auch sie nutzen das Prinzip der Verdunstungskälte. Sie haben ihre große Oberfläche innerhalb der Nase: ein anatomisches Wunderwerk von feinsten Nasenmuscheln (Abb. 1, Nr. 3). Durch diese Muscheln strömt auch beim Hecheln die Einatemluft und erzeugt auf der durch Drüsen befeuchteten Oberfläche die Verdunstungskälte. Brachyzephale Tiere haben derart verkleinerte und kaum belüftete Nasenmuscheln, dass die Thermoregulation nicht mehr funktionieren kann. Deswegen sind brachyzephale Tiere besonders wärmeempfindlich, oft bereits bei Temperaturen ab 19°C und nach Belastung dauert die Erholungszeit viele Stunden [3].

Die Atemprobleme verschwinden leider nie von selbst. Besonders die Folgen eines zu engen Atmungsganges in der Nase und der damit verbundene zu hohe Atemwiderstand, führen über Jahre hinweg zu einer Traumatisierung des Gewebes im Rachen- und Kehlkopfbereich. Das Gewebe verdickt sich und engt die Atemwege immer weiter ein – dadurch nehmen die Beschwerden zu, besonders auch im Schlaf. Eine Umfrage unter Besitzern von Hunden mit extremer Brachyzephalie ergab ein schockierendes Bild [10]:

• 56 Prozent der befragten Hundebesitzer geben an, dass ihr Tier Atemprobleme beim Schlafen hat
• 24 Prozent der Tiere versuchen im Sitzen zu schlafen, da sie im Liegen keine Luft bekommen
• 11 Prozent haben Erstickungsanfälle im Schlaf
• 77 Prozent haben Probleme beim Fressen
• 46 Prozent erbrechen oder regurgitieren mehr als einmal am Tag (Anm. d. Red.: Nahrungsteile aus dem Magen oder der Speiseröhre kommen hoch und können in die Mund- oder Nasenhöhle gelangen.)
• 36 Prozent der Tiere sind schon einmal aufgrund von Atemnot umgefallen, über die Hälfte von ihnen hat dabei das Bewusstsein verloren.

Leider ist es durch falsche Zuchtauslese bei brachyzephalen Rassen zu weiteren angeborenen Fehlentwicklungen gekommen. Die Zunge ist bei vielen Tieren im Verhältnis zur Maulhöhle deutlich zu groß (Franz. Bulldogge), die Knorpel in Kehlkopf und Luftröhre sind besonders beim Mops sehr weich und können kollabieren. Bulldoggen leiden oft an einer »Hypotrachea«, einer Luftröhre, die im Durchmesser zu klein ist. Bei vielen Tieren ist die Speiseröhre vor dem Herzen erweitert. Die Hüftgelenke sind erschreckend häufig deformiert. Französische Bulldoggen zeigen oft angeborene Veränderungen an der Wirbelsäule. Brachyzephale Hunde haben im Verhältnis zum Kiefer zu große Zähne. Dieses führt zu Drehungen der Zähne; Schmutz- und Bakterien können sich gut an diesen Zähnen halten und führen zu Zahnlockerung und Entzündungen. Beim Zahnwechsel können Zähne im Kieferknochen zurückbleiben; im Kiefer liegende Zähne bilden oft Zysten. Diese können im schlimmsten Fall den Knochen so schädigen, dass es zu Kieferbrüchen kommt. Unsere Untersuchungen lassen befürchten, dass bei Möpsen und Bulldoggen hochgradige Veränderungen von Gehörgang und Mittelohr weit verbreitet sind [4].

Wege aus der Krise
Es wäre jedoch falsch, sich in der Kritik an der modernen Hundezucht auf einige wenige Rassen zu beschränken! Der gesamten Rassezucht von Schautieren fehlt ein wesentliches Instrument: eine unabhängige und fachkundige Qualitätskontrolle. Zuchtbedingte Fehlentwicklungen und Beeinträchtigungen der Gesundheit werden ganz offensichtlich vom Laien-Richter nicht oder zu spät erkannt, mitunter auch absichtlich ignoriert. Viele der sogenannten Rassestandards der Zuchtverbände fördern durch unsinnige Zuchtziele sogar die Entstehung bestimmter Erkrankungen [1,2]. Hier muss sich die Tierärzteschaft wesentlich stärker einbringen! Kein anderer Beruf erfährt gleichermaßen eine Ausbildung in Tiergesundheit und Tierzucht wie der Tierarzt. Das für Tierärzte zuständige Bundesgesetz legt in seinem allerersten Satz fest: »Der Tierarzt ist berufen, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen, …« In den vergangenen Jahrzehnten hat es in Europa keine spürbare Resonanz der Tierärzteschaft zur Qualzucht bei Hunden und speziell bei brachyzephalen Rassen gegeben. Öffentlich gemacht hat das Problem aber eine große Zahl empörter Besitzer kranker Hunde, die die Medien mobilisiert haben. Erst nach breiter Reaktion der Öffentlichkeit wurden die Missstände in der Hunde- und Katzenzucht von den eigentlich Zuständigen sichtbar wahrgenommen. Auch in der universitären Lehre findet diese Problematik noch nicht den ihr gebührenden Raum.

Wir Tierärzte müssen unsere Verantwortung erkennen und dürfen uns nicht länger zum Reparaturtrupp der Hunde- und Katzenzüchter degradieren lassen. Einzelmeinungen, dass die gegenwärtige Kleintierzucht doch das wirtschaftliche Auskommen des Berufsstandes in der Zukunft sichert, muten ebenso peinlich wie zynisch an. Eine moderne Kleintiermedizin darf nicht dazu beitragen, dass Tiere mit Erbkrankheiten scheinbar »gesund« und fortpflanzungsfähig bleiben. Therapie statt Selektion? Wenn dieser züchterische Irrweg weiter beschritten wird, stehen wir sehr bald bei immer mehr Schaurassen einem Qualzuchtproblem gegenüber. ­Bereits der heutige Gesundheitszustand vieler Schaurassen muss alarmieren.

Genetische Tests sind eine unverzichtbare Möglichkeit, versteckte Erbkrankheiten zu entdecken. Aber man muss sich auch ihrer Grenzen bewusst sein. Keinesfalls sollten sie zur ausschließlichen Qualitätskontrolle werden. Gentests bleiben sinnlos, wenn die offensichtlichen, mit unseren Sinnen wahrnehmbaren Fehlbildungen bewusst ignoriert werden. Dass brachyzephalen Hunderassen das Atmungsorgan Nase »weggezüchtet« wurde, bedarf keiner gen­analytischen Bestätigung.

Das Konzept der Hundeschauen muss grundlegend überdacht werden. Es hat in den vergangenen 100 Jahren offensichtlich nicht funktioniert und folgenschwere Fehlentwicklungen ermöglicht. Völlig widersinnige Überbetonung äußerer Merkmale wurde und wird noch immer von vielen Zuchtrichtern belohnt und so die Ausrichtung der Zucht stark beeinflusst. Die Hoffnung, dass bei guter Aufklärung die organisierte Hundezucht ihre Probleme erkennen und lösen wird, entbehrt leider jeder Grundlage.

Es fehlen staatliche Regeln, die vor unseren Gerichten einfach durchzusetzen sind und auf gewerbsmäßige wie private Zucht und den Import von Tieren anzuwenden sind. Die Behörden von Bund und Ländern haben erkennen müssen, dass das aktuell verfügbare Instrumentarium bisher nicht ausreicht, um Qualzucht effektiv zu verhindern und züchterische Eitelkeiten vor Gericht zu stoppen. Es bleibt zu hoffen, dass lobbyistische Partikularinteressen diese dringend notwendigen Änderungen nicht zur Strecke bringen.

Literaturquellen

[1] Asher, L.; Diesel, G.; Summers, IF.; McGreevy, P.O.; Collins, L.M. (2009): Inherited defects in pedigree dogs. Part 1: Disorders related to breed standards. VetJ 182: 402-411.

[2] McGreevy, P.D. (2007): Breeding for quality of life. Animal Welfare 16: 125-128.

[3] Oechtering, G.U. (2010): Das Brachyzephalensyndrom — Neue Informationen zu einer alten Erbkrankheit. Veterinary Focus 20: 2-9.

[4] Schuenemann, R.; Kamradt, A.; Oechtering, G.U. (2012): „Glue Ear‘ — Another disease with high prevalence in brachycephalic Dogs. In: ECVS 21‘Annual Scientific Meeting, Barcelona, Spain.

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