Das Wichtigste für jeden Hund ist die Beziehung zum Menschen

Von José Arce

Selbst Straßenhunde leben vom Menschen. Sie plündern den Müll, anstatt auf die Jagd zu gehen. Für den Hund sind wir Menschen verantwortlich. Wir geben ihm ein Territorium, wir sind seine Familie und wir ernähren ihn. Hunde wissen das. Das ist ihre Bestimmung. Sie wissen von Natur aus, dass der Mensch die Verantwortung für sie trägt. Die größte Quälerei für einen Hund ist, ihn ohne Menschen leben zu lassen. Unsere Hunde brauchen aber nicht nur regelmäßig Auslauf, gutes Futter und einen sicheren Platz zum Schlafen. Sie brauchen auch nicht nur Liebe und Streicheleinheiten, auch wenn es an all dem natürlich nicht fehlen sollte. Vor allem aber brauchen sie eine Beziehung, in der sie sich sicher und geborgen fühlen.

Wenn Sie sich zum Beispiel für einen Rassehund entschieden haben, ist von Anfang an manches viel klarer. Bei diesen Hunden haben Züchter über Jahrzehnte, manchmal sogar bereits über Jahrhunderte selektiert und zielgerichtet immer nur mit jenen Tieren weitergezüchtet, die ihrem Ideal am nächsten kamen. Daher können Sie bei einem Rassehund mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit sicher sein, was er mitbringen wird – und zwar nicht nur, was das Aussehen und die genetische Ausstattung betrifft. Auch sein Verhalten und sein Charakter lassen sich recht gut einschätzen. Das macht es leichter, wenn man weiß, wie man lebt und was man sich wünscht. Allerdings ist die Rasse allein noch keine Garantie für eine geglückte Mensch-Hund-Beziehung. Diese glückliche Mensch-Hund-Beziehung kann Ihnen mit einem Tierheimhund aus Deutschland oder dem Ausland genauso gelingen. Allerdings weiß man eben in der Regel weniger genau, auf was man sich einlässt. Nicht immer ist klar, wer der Vater ist und welche Merkmale später einmal dominieren werden, wie groß der Hund einmal wird und welche Charaktereigenschaften er zeigen wird. Und wenn einer der Eltern schon ein Mischling ist, ist dementsprechend noch viel mehr möglich. Umso wichtiger ist, dass man vom erstenTag an alles richtig macht.

Egal ob Sie eine bestimmte Rasse oder einen Mischling haben, eine Hündin oder einen Rüden, einen Welpen vom Züchter, oder einen Hund aus dem Tierheim oder Ausland. Der Hund braucht Sie, er braucht, dass er sich bei Ihnen sicher und geborgen fühlt und Teil Ihrer Familie ist. Er möchte Ihr Begleiter sein. Sie müssen ihm zeigen, wie unsere Menschenwelt funktioniert, damit er sich in Ihren Alltag integrieren kann. Es ist normal, dass wir unsere Hunde manchmal wie Menschen behandeln, sie sind schließlich ein Familienmitglied. Aber sobald wir vergessen, dass es Hunde sind, sind Probleme schnell an der Tagesordnung. Im Umgang mit unseren Hunden würde vieles besser laufen, wenn wir mehr unseren Instinkten folgen würden. Indem wir zu unseren eigenen Wurzeln zurückkehren, fällt es uns leichter, den Hund als Teil dieser Natur zu sehen und einen artgerechten Zugang zu ihm zu finden. Der Lohn dafür ist ein harmonisches Miteinander.

Führung übernehmen

Das Schlimmste für einen Hund ist, ohne seinen Menschen zu sein. Alles, was er will, ist, mit dem Menschen etwas zu unternehmen. Bei einem typischen Kunden von mir hat der Hund komplett die Verantwortung übernommen. Der Hund bestimmt über ihn, über das Haus, über andere Hunde, über die Straße. Und ich muss immer wieder sagen: Hey, du musst eine Struktur vorgeben! Du bestimmst, wann gespielt, wann gefressen, wann Gassi gegangen und wann geschlafen wird. Erst durch diese Führung fühlt sich dein Hund sicher, respektiert und geliebt. Für viele Menschen hat der Begriff Führung einen negativen Beigeschmack. Denn die Verantwortung über seinen Hund verliert man meist durch falsches Spazierengehen. Beim Spazierengehen soll der Mensch als Verantwortlicher den Weg zeigen. Der Mensch bestimmt, wann und wo Pause gemacht wird und der Hund schnüffeln oder sein Geschäft verrichten darf. Ein Hund nimmt draußen zig Gerüche und Geräusche wahr, es bedeutet puren Stress für ihn, auch noch die Verantwortung zu übernehmen und die Entscheidungen zu treffen. Er kann sich nicht entspannen.

Viele Leute schaffen sich einen Hund an und haben keine Ahnung davon, was ein Hund wirklich braucht. Sie haben nur ein Liebesbedürfnis und sehen nicht wirklich, wie ein Hund ist. Jeder Hund in meinem Familienverband soll wissen: Ich habe Kumpel, die anderen Familienmitglieder, aber mein verantwortlicher Mensch ist José. Wenn möglich, nehme ich verschiedene Hunde mit, zum Beispiel Betty, wenn ich essen gehe. Zum Reiten nehme ich Fred mit, zum Schwimmen gehe ich mit Yang. Alle Hunde verstehen das. In meiner Familie müssen alle zueinander eine starke Beziehung haben, aber nicht so eine starke wie zu mir. Sie dürfen nie vergessen, dass der Verantwortliche ein Mensch ist. Wenn man einen Hund hat, muss man Zeit haben und wissen, was zu tun ist. Ähnlich wie bei Kindern: Ein Kind weiß, dass es sich abends die Zähne putzen soll, und macht das auch. Aber wenn es einen Freund mitbringt, spielen die beiden z. B. Computerspiele und es herrscht eine andere Dynamik, das ist bei Hunden genauso. Manche Leute machen den Fehler und kaufen einen zweiten Hund, weil der erste nicht gern allein bleibt. Das geht nicht immer gut. Erst muss man das Problem an sich lösen.

Was ist zumutbar?

Ich mag das Wort Hundeerziehung nicht, aber Erziehung gehört für Mensch und Hund zum Leben. Wenn der Ehepartner die Zahnpastatube offen lässt, dann erzieht man ihn ja nicht dazu, die Tube zu schließen. Man erklärt so liebevoll wie möglich, dass es einen stört. Wenn man einen Welpen hat, soll man ihm Verschiedenes beibringen. Doch erst einmal soll man erkennen, was der Hund im Moment aufnehmen oder leisten kann. Man soll verstehen, wie klein oder groß Lernschritte sein können. Durch diesen Respekt und die Empathie, die man dem Hund entgegenbringt, entsteht eine Beziehung und der Mensch wächst mit dem Hund zusammen.

Wenn ein Hund einem das Leben schwer macht, dann deshalb, weil er ein Problem mit seinem Dasein als Hund hat, weil man seine Bedürfnisse nach Struktur und Sicherheit nicht erfüllt. Dann kippt die Beziehung. Der Hund ist nicht ungehorsam, weil man blöd ist oder einen schlechten Trainer hat. Er ist ungehorsam, weil er eine schlechte Beziehung zu seinem Menschen hat. Wenn wir tolle Autos haben, ein Haus, Essen im Kühlschrank und Geld auf dem Konto, vergessen wir, was Leben eigentlich ist. Leben ist auch überleben. Das bedeutet, jeden Tag zu genießen, das Leben zu feiern, sich zu freuen, wenn es etwas zum Essen gibt, es nicht als selbstverständlich anzusehen, einen warmen Schlafplatz zu haben. Mit Hunden genießen wir die einfachen Dinge, die wir im Alltag meistens gar nicht mehr wahrnehmen, die Sonne, den Wind, die Gerüche, die Entspannung. Menschen in Deutschland sind immer so hektisch, arbeiten, essen, telefonieren, am liebsten alles gleichzeitig. Wie wäre es, auch ein bisschen von südländischen Ländern zu lernen? Schön zu Mittag essen, ein wenig ausruhen nach dem Essen … Hunde leben im Moment, sie genießen ihn mehr als wir. Das können wir von unseren Hunden wieder lernen, das macht uns Hundebesitzer zu besseren Menschen.

Manchmal ist zu lesen, es gäbe keine Dominanz unter Hunden oder Wölfen, ein Rudel sei ein Familienverband. Aber das ist doch das Gleiche! Und es ist nichts Schlechtes. Es gibt eine Rangordnung unter Wölfen, unter Hunden und in der Familie: Papa, Mama, großer Bruder, kleiner Bruder, das ist Rangordnung. Wenn eine Mutter zum Kind sagt: Lass die Schokolade! Dann drückt das eine liebevolle, dominante Haltung aus. Man muss dasselbe mit anderen Begriffen erklären, damit die Menschen offen bleiben. Erkenne, respektiere und liebe deinen Hund! Wenn man die Natur der Hunde respektiert und sich selbst so verhält, wie die Hunde es von »ihrem« Menschen erwarten, dann werden sie automatisch zu den ausgeglichenen, sicheren und ruhigen Tieren, die wir uns wünschen. Und nur dann wird man mit seinem Hund zu dem eingeschworenen Team, von dem die meisten Hundehalter träumen, wenn sie sich das Leben mit Hund vorstellen.

Jetzt etwas ändern!

Wenn Sie die Beziehung zu Ihrem Hund verbessern wollen, fangen Sie einfach noch heute an: Indem Sie den nächsten Spaziergang auf meine strukturierte Art machen. Das ist vielleicht erst einmal ungewohnt, womöglich auch anstrengend. Aber ist das ein Spaziergang, bei dem ständig etwas schiefläuft, nicht ebenfalls? Und das wird, wenn Sie nichts verändern, für immer so bleiben – womöglich verschlechtert sich die Situation sogar noch, weil Ihr Hund sich immer unsicherer fühlt und daher immer mehr Marotten entwickelt.

Wenn Sie Ihrem treuen Freund dagegen helfen, in seine natürliche Position zurückzufinden, wandelt sich alles zum Besseren. Er kann sich dann wieder voll und ganz auf Sie konzentrieren und sich zeigen lassen, wie ein entspanntes (Hunde-)Leben funktioniert. Dadurch wird nicht nur der Spaziergang (wieder) zu einem Ereignis, das beide genießen können. Auch zu Hause läuft es runder. Mit dem strukturierten Spaziergang schaffen Sie die Basis dafür, dass Ihr Hund allein zu Hause bleibt, ohne Ihre Wohnung zu zerstören oder die gesamte Nachbarschaft in den Wahnsinn zu jaulen. Sie schaffen die Voraussetzung dafür, dass er nicht (mehr) unaufhörlich bellt, wenn es an der Türe klingelt und/oder jedem Besucher die Hölle heißmacht. Weil er weiß, dass Sie draußen die Verantwortung tragen, kann er nämlich auch drinnen loslassen. Er kann erfahren, dass es einen Platz gibt, an dem er Ruhe findet und an den er sich zurückziehen kann, um zu entspannen.

Jeder strukturierte Spaziergang beginnt mit dem geführten Teil. Das heißt, erst mal bestimmen Sie, wo es langgeht – und in welchem Tempo. Ihr Hund passt sich daran an. Und auch wenn meine Klienten sich das am Anfang nicht so recht vorstellen können: Das gefällt ihm, denn er muss sich keinen großen Kopf machen und kann einfach nur laufen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass meine Klienten sehr schnell bemerken, wie entspannt ihre Hunde plötzlich sind – was sie genauso schnell davon überzeugt, dass es ihnen also durchaus Spaß machen muss, einfach nur neben ihrem Menschen herzulaufen.

Wenn Sie Route und Tempo vorgeben, bedeutet das aber auch, dass Ihr Hund nicht einfach stehen bleiben oder wegdriften darf, nur weil er zum Beispiel irgendetwas Interessantes riecht. Es mag verständlich sein, dass innerhalb von mehreren Stunden oder gar über Nacht jede Menge neue Botschaften aufgetaucht sind. Machen Sie sich aber einfach klar, dass Ihr Hund nicht alles lesen muss. Natürlich können Sie auch mal stehen bleiben, wenn Sie Lust haben, sein Bedürfnis nach Neuigkeiten zu erfüllen. Wobei hier schon gesagt ist, worauf es ankommt: Sie entscheiden, nicht Ihr Hund. Sie können theoretisch so viele Schnupper-Pausen einlegen, wie Sie wollen. Aber diese müssen auch wieder beendet werde, wenn Sie es sagen – oder wenn Sie weitergehen. Allerdings fällt es Ihrem Hund einfach leichter, zu verstehen, dass er sich an Ihnen orientieren soll und nicht an dem, was ihn sonst so interessieren könnte, wenn Sie nicht allzu oft stehen bleiben. Auch dadurch, dass Sie sich bemühen, es ihm so leicht wie möglich zu machen, zeigen Sie, dass Sie die Verantwortung übernehmen. Vor allem morgens, beim ersten Spaziergang, will ein Hund meistens erst mal eins: pieseln. Und das darf er auch. Weil ein Hund umso öfter raus muss, je jünger er ist, fallen die Spaziergänge naturgemäß kürzer aus – auch weil Welpen noch gar nicht so viel Ausdauer haben und sehr viel schlafen müssen. Trotzdem kann man alles mit ihnen üben und unternehmen, was man auch mit einem großen Hund macht. Vor allem sollte man von Anfang an den Spaziergang auf meine Weise strukturieren – egal, wie kurz er ist. Es ist eben viel einfacher, wenn man es gleich von Anfang an richtig übt und sich keine Fehler einschleichen, die man dem Hund später, wenn sie sich etabliert haben, erst wieder mehr oder weniger mühsam und zeitaufwendig abgewöhnen muss. Das ist bei uns Menschen schließlich nicht anders, oder?

Hunde leben im Hier und Jetzt

Es schert sie nicht, was gestern war, wenn es heute schön ist. Sie handeln nicht rational, sondern reagieren nur instinktiv auf unser eigenes Verhalten. Das macht die Sache eigentlich ganz einfach, denn dadurch können wir sie gut steuern – und der Beziehung zu ihnen eine neue Richtung geben. Hin zum Glück.

Es kann schon einmal ein bisschen länger dauern, bis ein Hund ein unerwünschtes Verhalten ablegt. Denn nicht selten wurde ihm dieses über lange Zeit antrainiert – natürlich unbewusst und nicht mit schlechten Absichten. Aber wer am Ball bleibt und jeden Tag aufs Neue seine Verlässlichkeit unter Beweis stellt, wird belohnt. Schließlich gibt es kaum etwas Schöneres, als gemeinsam mit seinem Hund die Welt zu entdecken.

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Der Mensch-Hund-Therapeut hilft bei besonderen Problemen auch in individuellen Zwei-Tages-Besuchen weltweit und gibt traumatisierten Hundebesitzern wieder Kraft, Mut und Zuversicht. Dadurch können diese die Probleme der Vergangenheit vergessen, mit individuellen Lösungsansätzen wieder Vertrauen in sich selbst finden und die Probleme angehen. Der Autor bietet außerdem für alle interessierten Mensch-Hund-Teams regelmäßig Seminare in Deutschland, Österreich und in der Schweiz an. Mehr Informationen und aktuelle Termine: www.jose-arce.com

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