Wenn Selektion zur Qual wird: Ein kritischer Blick auf die Mensch-Hund-Beziehung

Canis lupus lupus hat einen mittelgroßen, leicht gestreckten Körperbau bei guter Bemuskelung und kräftiger Knochenstruktur. Durchschnittlich wird ein Körpergewicht von 30-50 kg erreicht, bei einer Widerristhöhe von ca. 80 cm und einer Körperlänge von ca. 170 cm. Die Rückenoberlinie verläuft gerade, die Rute hängt typischerweise beim Laufen. Der Kopf ist kräftig entwickelt, die Ohren oben abgerundet und eher klein. Europäische Vertreter zeigen eine grau/bräunliche Fellfarbe, wobei am Kopf eine hellere Maske vorherrschend ist. Sehsinn, Hörsinn und Geruchssinn sind hervorragend entwickelt.

Fleisch gegen Freundschaft
So oder ähnlich könnte eine Steckbriefbeschreibung für das »Vorläufermodell« unserer heutigen Hunderassen, den Wolf, lauten. Die Erfolgsgeschichte zwischen Menschen und Wölfen, und später Menschen und Hunden, begann vor ca. 14.000 bis 29.000 Jahren. Neueren Untersuchungen zufolge basiert die Domestikation des Wolfes auf dem Prinzip »Fleisch gegen Freundschaft«. Anders als zuvor angenommen, gab es keine allzu große Nahrungskonkurrenz zwischen Menschen und Wölfen in dieser Zeit, obwohl recht kalte Temperaturen herrschten. Das anhaltende subarktische Klima bewirkte, dass sich Waldgebiete in karge Steppenlandschaften verwandelten und Beutetiere wie Elche und Pferde mageres, aber proteinreiches Fleisch lieferten. Für die damaligen Menschen war dies eine herausfordernde Situation, da auch der Mensch ursprünglich vorwiegend pflanzliche Kost zu sich nahm. Diese war in den kalten Wintern selten ausreichend verfügbar. Erschwerend kam hinzu, dass der menschliche Körper auf Dauer eine hochproteinreiche Nahrung nur schlecht verträgt und darüber hinaus Fette und Zucker zum Überleben benötigt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Menschen früher vorzugsweise das wenige Fett der Beutetiere verspeisten und das magere Muskelfleisch übrig blieb. Diese Reste wurden dann an Wolfswelpen verfüttert, die in der Nähe zum Menschen aufwuchsen, Spielkameraden für Kinder waren und ihrerseits zu Beschützern ihrer Futtergeber wurden (s. Lit. 1).

Wollte man nun einen Steckbrief für die Familie der Hunde erstellen, den Canis familiaris, so müsste man dieses Unterfangen aufgeben, da es schlichtweg unmöglich ist, eine allgemeingültige Beschreibung zu Papier zu bringen. Allein die Frage, wie viele Hunderassen es gibt, ist von Experten nur schwer zu beantworten. Zwar versucht die Fédération Cynologique Internationale (FCI) mittels kynologischer Systematik die diversen Hunderassen zu erfassen und entsprechend anzuerkennen (s. Lit. 2), doch gibt es neben der FCI noch zahlreiche andere Dachverbände, die ihre eigenen Rassestandards setzen (s. Lit. 3). Aktuell nennt die FCI 360 offiziell anerkannte Rassen (Stand Oktober 2021). Würde man sogenannte Designer-Kreuzungen (wie den »Puggle« aus Beagle und Mops) oder experimentelle Kreuzungen noch dazu rechnen, geht man von Dunkelziffern von bis zu 800 Rassen aus. Allein diese Zahlen lassen auf das riesige Spektrum an Artenvielfalt schließen, welches bei keinem anderen Säugetier auf diesem Planeten zu finden ist. Umso überraschender ist es, dass trotz der genetischen Bandbreite in der Rassehundezucht die Merkmalsausprägungen nur auf wenige Genorte beschränkt sind. Die oftmals deutlich sichtbaren Unterschiede in Körpergröße, Schädelform oder Knochenbau lassen sich dabei auf nur zwei bis sechs Genorte eingrenzen, welche bis zu 70 Prozent der Merkmalsvarianten hervorrufen (s. Lit. 4).

Genetischer Flaschenhals Hundezucht
Die Anfänge der gezielten Hundezucht fallen in die viktorianische Epoche. In dieser Zeit setzte man Schwerpunkte u.a. in der Reinrassigkeit, in dem Glauben, dass man mit dieser Zuchtform »überlegene Nachkommen« züchten könne. Damals wurde der Grundstein für die meisten heutigen beliebten Hunderassen gesetzt. Allerdings beruhten diese Zuchten häufig nur auf einer sehr begrenzten Zahl von Elterntieren. Die Hundezucht kann vor diesem Hintergrund als ein von Menschenhand erzeugter genetischer Flaschenhals verstanden werden (im Sinne einer genetischen Verarmung), wobei im Zweifelsfalle die daraus resultierenden Konsequenzen zulasten der Tiergesundheit gehen. Paradoxerweise ist der Hund darüber zu einem bevorzugten Modellorganismus avanciert und wird zur Erforschung einfach mendelnder und komplexer Erbkrankheiten (bei Mensch und Tier) eingesetzt (s. Lit. 5, 6). Mittlerweile kennt man über 500 Erkrankungen, die in bestimmten Hunderassen zum Tragen kommen und somit als Erbkrankheiten zu bezeichnen sind (s. Lit. 7).

Bereits vielfach wurde von Experten geäußert, dass in der Hundezucht einiges schiefgelaufen ist (s. Lit. 8, 9). Vielleicht lag der ursprüngliche Gedanke einmal darin, Merkmale zu selektieren, die dem Tier in der Ausübung seiner Aufgaben Vorteile verschaffen. Davon haben wir uns heute jedoch weit entfernt, zumal der Anteil an Hunden, die wirkliche Aufgaben zu erfüllen haben, verschwindend gering ist. So lebten im Jahr 2020 in deutschen Haushalten ca. 10,7 Millionen Hunde (s. Lit. 10). Die Zahl der Blindenführhunde beispielsweise bezifferte sich auf lediglich 3.000 Tiere (s. Lit. 11 und Abb. 1). Erschreckend ist, dass der relative Anteil an Qualzuchtrassen, trotz zahlreicher Kampagnen und Aufklärungsversuche über diverse Medien und Kanäle, stetig zunimmt.

Plakataktionen klären auf, Reportagen im Fernsehen informieren, Flyer kursieren und Haustierratgeber warnen vor der Anschaffung von Mops, französischer Bulldogge und Co. Und dennoch begegnen sie einem überall. Nicht nur in der Werbung scheinen untersetzte, plattgesichtige Hunderassen gute Verkaufszahlen zu erzielen. Offensichtlich gibt es auch keine Einsicht bei privaten Tierhaltern. Die französische Bulldogge ist längst zu einem Must-have avanciert und bildet darüber sehr offensichtlich ein gesellschaftliches Paradoxon ab. Laut einer repräsentativen Umfrage durch die GfK Marktforschung Nürnberg im Auftrag der »Apotheken Rundschau« bezeichneten sich im Jahre 2009 80,8 % der Deutschen als »sehr tierlieb«. Diese Zahl dürfte heute noch gestiegen sein, betrachtet man die hohen Umsatzzahlen im Heimtiersegment. Auch die Tierärzteschaft zeigt zunehmend Schulterschluss und will nicht länger nur Reparateur der Auswirkungen unverantwortlicher Zuchten sein. Dennoch scheinen all diese Anstrengungen nicht zu wirken.

Wer sind die Hundekäufer?
Viel zu früh abgesetzte Hundewelpen, vor allem solche mit den »begehrten« Qualzuchtattributen, werden tagtäglich über die Grenzen geschmuggelt, um ihre neuen Besitzer in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz glücklich zu machen. Oft ist die zweifelhafte Freude groß, dass man diese noch günstiger erworben hat als beispielsweise beim nächstgelegenen Züchter. Die Tatsache, dass man sich zum Abschluss dieses fragwürdigen Handels auf abgelegenen Autobahnraststätten trifft, wird dabei billigend in Kauf genommen (s. Abb. 2). Somit stellt sich die brennende Frage: Was sind das für Menschen, die sich offensichtlich aus voller Überzeugung einen Qualzuchthund zulegen? Welche Motivation steckt dahinter? Mögliche Erklärungsansätze können wir in der Sozialpsychologie finden. Wahrscheinlich kommen hier mehrere Phänomene zum Tragen. Dem Anschaffungsprozess könnte dabei ein Konsumverhalten zugrunde liegen, wie man es vergleichbar in der Mode wiederfindet. Hier wird über sogenannte Meinungsführer im Segment ein Trend geschaffen. Dieser Trend wird dann in der Gesellschaft verstärkt verbreitet und schafft darüber Anerkennung in sozialen Gruppen (s. Lit. 12 und Abb. 3). Menschen haben das Gefühl, sich darüber individuell gestalten und definieren zu können.

In unserem Inneren haben wir eine Vorstellung von unserem »Ideal-Ich«. Begegnet uns nun auf den Straßen und in der Idealwelt der Werbung immer wieder ein süßer Hund mit rundem Kopf, einer kleinen Stupsnase und großen Augen, so mag es durchaus sein, dass wir diese ­»Modeerscheinung« als einen Teil des persönlichen Lebensstils besitzen wollen. Und da so viele andere Menschen diese »niedliche Kreatur« an ihrer Seite haben, kann es auch nicht so falsch sein.

Angenommen, man wäre nun im wahrsten Sinne des Wortes auf den »(Qualzucht-)Hund« gekommen, dann werden die damit verbundenen Probleme schnell offensichtlich. Es röchelt des nachts neben einem, es gibt Probleme mit den Zähnen, die haarlosen Vertreter werden bald von Hautentzündungen geplagt und vieles mehr. Darüber ist der Weg zum Tierarzt vorprogrammiert (s. Abb. 4). Und so manches Gespräch im Wartezimmer beim Tierarzt verläuft dann so, dass der stolze Besitzer der bemitleidenswerten Qualzuchtkreatur noch immer leugnet, dass die Probleme des Tieres auf die fatale Zucht zu schieben wären. Vielmehr hört man Floskeln wie »rassetypisch«, »das muss so sein« oder gar: »Ja, bei anderen Vertretern dieser Rasse ist es so, nicht aber bei meinem Liebling, weil ich ihn habe und mich um ihn kümmere. Damit geht es ihm viel besser als den anderen!« Was ist hier in den Köpfen passiert? Warum werden die Konsequenzen des eigenen Handelns nicht erkannt?

Kognitive Dissonanz
Am besten lässt sich dies wohl mit dem bereits seit den 1960er Jahren bekannten Phänomen der »kognitiven Dissonanz« erklären. Kognitive Dissonanz beschreibt ein Gefühl, das wir wohl alle schon einmal erlebt haben, wenn wir unser Leben umstrukturieren wollen. Der Jahreswechsel ist ein beliebter Zeitpunkt für gute Vorsätze (s. Lit. 13). Noch während die Silvesterraketen in den Himmel steigen, beschwören wir uns beispielsweise mit dem Mantra, im neuen Jahr ein paar überflüssige Pfunde zu verlieren oder ganz einfach aktiver zu werden und weniger, aber gesünder zu essen. Im Februar bereits erkennen wir, dass unsere Vorsätze nicht haltbar sind. Eine quälende, fatale Einsicht. Unser Gehirn nimmt den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit sehr sensibel wahr, allerdings aktiviert es Mechanismen, um unser Innerstes zu schützen. So hören wir uns sagen, dass Diäten zu Mangelerscheinungen führen könnten und zu viel Sport ungesund für die Gelenke ist und schon sind wir wieder da, wo wir im vergangenen Jahr aufgehört haben.

So ähnlich kann man die Erklärungsversuche der Tierhalter von Qualzuchtrassen interpretieren. Ihnen ist sicherlich im Stillen aufgegangen, dass mit ihrem vierbeinigen Liebling etwas nicht stimmt. Und eigentlich hatte man von Anfang an so ein komisches Gefühl, aber der Wunsch, genau so ein Tier zu besitzen, war stärker als die Einsicht und Vernunft. Dieses persönliche Versagen will man sich jedoch nicht eingestehen.

Was ist zu tun?
Wie aber können wir derartige Fehlanschaffungen zukünftig verhindern? Faktisch kann eine konsequente Umsetzung geltenden Tierschutzrechtes einen Ausweg abbilden. Eine stringente Anerkennung geltender Qualzuchtparagrafen kann ein Zuchtverbot bewirken. Bis es aber so weit ist, bedarf es weiterer hartnäckiger Aufklärungsaktionen im Feld. Effizienter Tierschutz hat sich rückblickend immer durch Beharrlichkeit ausgezeichnet. Hier gilt es, dass alle beteiligten Akteure vereinten Schulterschluss zeigen. Somit liegt es nicht nur am individuellen Engagement einzelner Personen oder Tierschutzvereinigungen, sondern auch Tierärzt:Innen, Vertreter:Innen verantwortlicher Behörden und auch Gerichte müssen sich positionieren und ein klares »Verbot zur Qualzucht« propagieren. In der Zwischenzeit bleibt uns die Hoffnung, dass »Mode als Erscheinung grundsätzlich von relativ kurzfristiger Natur ist« ( s. Lit. 14). Aber wir dürfen nicht zu lange warten, denn die Perversion kennt offensichtlich keine Grenzen, wie uns die neuen Kreuzungen aus chinesischem Nackthund und französischer Bulldogge zeigen!

Danksagung
Mein Dank geht an Frau Lea Benner und Frau Anna-Maria Bach vom Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität in Gießen, die uns bei der Erstellung der ­Grafiken tatkräftig unterstützt haben.

Autorinnen

Univ.-Prof. Dr. Stephanie Krämer ist Tierärztin und seit 2017 im Fachbereich Veterinärmedizin an der Justus-Liebig-Universität in Gießen tätig. An der Professur für Tierschutz lehrt und forscht sie zu unterschiedlichsten Themen rund um den Tierschutz. Zu einem Schwerpunktthema ist dabei im letzten Jahr das Thema Qualzucht geworden. Gleich mehrere Doktorand:Innen bearbeiten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus und wollen so auch ihren Beitrag zur Beendigung dieses überflüssigen Leids leisten. Besondere Beachtung hat dabei im Jahr 2021 die Dissertationsschrift von Frau Dr. Karina Schöll zu »Qualzuchtmerkmale bei der Katze und deren Bewertung unter tierschutztrechtlichen Aspekten« erlangt (tinyurl.com/yckp75ep).

Jaqueline Winkel hat Geschichte und Journalistik studiert. Seit 2019 ist sie Doktorandin an der Justus-Liebig-Universität Gießen und arbeitet zudem am Interdisciplinary Centre for 3R’s in Animal Research (ICAR3R). Als Medienwissenschaftlerin beschäftigt sie sich mit der Repräsentation von Qualzuchten und des Tierschutzes in den öffentlichen Medien.

Literaturverzeichnis

1. M. Lathtinen, D. Clinnick, K. Mannermaa, J. Skari Salonen, S. Viranta. Excess protein enabled dog domestication during severe Ice Age winters. Scientific Reports, 11:7, 2021.
2. http://www.fci.be/de/nomenclature (Aufruf der Homepage im Oktober 2021)
3. https://www.akc.org/ (Aufruf der Homepage im Oktober 2021)
4. E. Axelsson, I. Ljungvall, P. Bhoumik, L.B. Con, E. Muren, A. Ohlsson, L. Hoier Olsen, K. Engdahl, R. Hagman, J. Hanson, D. Kryvokhyzha, M. Pettersson, O. Grenet, J. Moggs, A. Del Rio-Espinola, C. Epe, B. Taillon, n. Tawari, S. Mane, T. Hawkins, A. Hedhammar, OP. Gruet, J. Häggström, K. Lindblad-Toh. The genetic consequences of dog breed formation _ Accumulation of deleterious genetic variation and fixations associated with myxomatous mitral valve disease in cavalier King Charles spaniels. PLOS Genetics, September 2, 2021.
5. A.L. Shearin, E.A. Ostrander. Leading the way: canine models of genomics and disease. Dis Model Mech, 3:27-34, 2010.
6. https://www.genetikum.de/de/genetikum/Infothek/infothek_detail.php?oid=256&dtl=genetics+of+our+%22best+friend%22&all=1 (Aufruf der Homepage im Oktober 2021)
7. A.M. Oberbauer, J.M. Belanger, T. Bellumori, D.L. Bannasch, T.T. Famula. Ten inherited disoders in purebred dogs by functional breed groupings. Canine Genetics and Epidemiology, 2:9, 2015.
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9. A. Gruber. Das Kuscheltierdrama, Droemer HC, Auflage: 4, 2020.
10. https://www.ivh-online.de/der-verband/daten-fakten/anzahl-der-heimtiere-in-deutschland.html (Aufruf der Homepage im Oktober 2021)
11. https://www.vdk.de/deutschland/pages/themen/71435/freund_und_helfer_100_jahre_blindenfuehrhunde_in_deutschland?dscc=ok (Aufruf der Homepage im Oktober 2021)
12. G. Simmel. Philosophie der Mode/ Zur Psychologie der Mode. Zwei Essays. K.-M. Guth (Hrsg.), Contumax Verlags-GmbH, 2016.
13. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/kognitive-dissonanz-37371 (Aufruf der Homepage im Oktober 2021)
14. H. Hermanns. Grundlagen des Mode-Marketing. In: Hermanns, Arnold/Schmitt, Wolfgang/Wißmeier, Urban Kilian (Hrsg): Handbuch Mode-Marketing, 1991.

 

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