Schönheit liegt im Auge des Betrachters – dieser Gedanke mag einem schon durch den Kopf gehen, wenn man durch die Hallen einer Hundeausstellung spaziert. Denn das, was man dort so zu sehen bekommt, hat mit dem üblichen, von Ästhetik geprägten Schönheitsbegriff in vielen Fällen kaum mehr etwas zu tun. Dabei spielt Schönheit im weiteren Sinn bei Hundeausstellungen eine sehr wichtige Rolle. Welcher Hund schön ist, wird allerdings durch den jeweiligen Rassestandard bzw. durch dessen Inter­pretation durch den sog. Formwertrichter definiert.

Ein Hund, der vom Rasse­standard abweichende Merkmale zeigt, wird auf einer Hundeaus­stellung schlecht bewertet und bekommt ­keine Zuchtzulassung. Das macht grundsätzlich auch Sinn, denn der Rassestandard beschreibt, wie ein der Rasse entsprechender Hund auszusehen hat. Die Basis von Rasse­standards ist in den meisten Fällen die ursprüngliche Verwendung der jeweiligen ­Rasse. Und dabei gilt das Prinzip: »Form ­follows function«. Der Körperbau eines Hundes sollte also den Anforderungen entsprechen, die an ihn im Rahmen seiner Verwendung gestellt werden. Nach diesem Grundsatz wurden Hunde über viele Jahrtausende hinweg gezüchtet. Auch wenn dabei von Zucht im heutigen Sinn nicht die Rede sein kann. Ausstellungen oder Leistungsprüfungen gab es nicht, die Selektion erfolgte wohl in erster Linie auf der Basis mehr oder weniger natürlicher Auslesemechanismen. Dabei hatten einfach diejenigen Hunde, die die an sie gestellten Anforderungen am besten bewältigten, die besten Chancen sich fortzupflanzen. Im einfachsten Fall wohl dadurch, dass sie auf Grund ihrer Verwendbarkeit ­spezielle Zuwendung in Form von ­Futter oder Schutz bekamen. Aber auch gezielte Selektion fand in ­erster Linie auf der Basis bestimmter ­Leistungen statt.

Wie alles begann

Das Ausstellungswesen hat ­seinen Ursprung im England des 19. Jhdts. Die erste Ausstellung von Rasse­hunden fand am 28. und 29. Juni 1859 in Newcastle upon Tyne in Großbritannien statt. Ein paar Jahre später, vom 14. bis 20. Juli 1863, folgte die erste Ausstellung in Deutschland, in Hamburg, und ein paar Wochen danach, am 5. September 1863, fand eine erste Ausstellung in Wien statt. Der eigentliche Beginn der modernen Rassehundezucht liegt in der Mitte des 20. Jhdts. Denn erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben sich die Lebensverhältnisse unserer Gesellschaft so geändert, dass Zeit und sonstige Ressourcen für die Hundezucht verfügbar waren. Damit hat sich aber auch in vielen Fällen die Bedeutung des Rassestandards geändert. Die Rassebeschreibungen basierten nicht mehr in erster Linie auf funktionellen Überlegungen, sie dienten nun auch der Wiedererkennbarkeit bzw. der sicheren Zuordenbarkeit eines Hundes zu seiner Rasse. Und sie ließen mehr oder weniger viel Spielraum für eine Entwicklung vieler Rassen zu dem, was heute als Qualzucht zumindest theoretisch verboten ist.

Die organisatorischen Strukturen, so wie sie heute noch die Grundlage eines großen Teils der Hundezucht in Europa darstellen, gibt es schon länger. So wurde z.B. der VDH (Verein für das Deutsche Hundewesen) im Jahr 1906 gegründet, der ÖKV (Österr. Kynologenverband) folgte im Jahr 1909, die FCI (Fédération Cynologique Internationale) entstand im Jahr 1911. Die Gründung der Zuchtverbände war verbunden mit der Einrichtung geschlossener Zuchtbücher, die zu der heute fast dogmatisch verteidigten genetischen Isolation der Rasse­populationen führte.

Die FCI ist neben vielen anderen Agenden für die Genehmigung von Rassestandards zuständig, die aber immer nur vom Ursprungsland der jeweiligen Rasse festgelegt bzw. verändert werden dürfen. Den Zuchtverbänden steht aber frei, in ihren Zucht- und Eintragungsbestimmungen über die Standardvorgaben hinaus Gründe für einen Zuchtausschluss zu definieren. Auch das macht im Grunde Sinn, denn speziell im gesundheitlichen Bereich haben sich in fast allen Rassen im Lauf der ­letzten Jahrzehnte Entwicklungen ergeben, die es notwendig machten, die Liste der definierten Zuchtausschlussgründe immer wieder mal zu erweitern. Dabei fallen unter die Gründe für einen Zuchtausschluss aber oft auch ­solche Merkmale, die für den ­betroffenen Hund weder gesundheitliche Konsequenzen haben, noch die Erkennbarkeit des Hundes als Vertreter seiner Rasse beeinträchtigen. Und paradoxerweise sind es immer wieder auch mal Merkmale, die bei einer Rasse als Rassemerkmale toleriert oder sogar angestrebt werden, die bei anderen Rassen als absolutes »No Go« gelten und einen Zuchteinsatz verhindern …

Zuchtausschluss aufgrund ­Bagatellfehler

Das Problem, das sich daraus ergibt, ist, dass viele Hunde, die gesund und rassetypisch sind, wegen eines Bagatellfehlers nicht zur Zucht eingesetzt werden, wodurch ihre Gene der Population verloren gehen. Denn der Zuchtausschluss betrifft nicht nur das eine kritisierte Merkmal, es betrifft den ganzen Hund mit allen seinen genetisch bedingten Eigenschaften. Dabei gibt es heute kaum mehr eine Rassepopulation, die es sich leisten kann, Hunde aufgrund von reinen Schönheitsfehlern aus der Zucht ­auszuschließen. Denn eines der Hauptprobleme unserer heutigen Hunderassen ist die zum Teil bereits massiv reduzierte genetische Varianz. Hunderassepopulationen sind aufgrund der strengen Bestimmungen der Rassehundezucht genetische Isolate, in denen Genverluste irreversibel sind. Und diese genetische Isolation führt dazu, dass der Genpool einer Rasse immer kleiner und kleiner wird. Je kleiner eine Rasse­population ist, umso schneller geht dieser Prozess vor sich. Und das auch schon ganz ohne spezielle Selektionsmaßnahmen. Das Phänomen der genetischen Drift ist es, was für diesen praktisch automatischen Genverlust in geschlossenen Populationen verantwortlich ist. Genetische Drift kann auch in Wildpopulationen dazu führen, dass die genetische Varianz so weit reduziert wird, dass eine isolierte Population bereits bei geringfügigen Änderungen der Umweltbedingungen ausstirbt.

Nicht jeder Rassehund ist für die Weiterzucht geeignet

In der Rassehundezucht kommen aber noch weitere Mechanismen dazu, die die genetische Varianz reduzieren. Und da sind es in erster Linie Selek­tionsmaßnahmen, die zu Genverlusten führen. Selektion ist notwendig, keine Frage. Nicht jeder Rassehund, der geboren wird, ist für die Weiterzucht geeignet. Schließlich soll das Rassebild erhalten oder vielleicht sogar in eine bestimmte Richtung verbessert werden, die gesundheitliche Situation der Rasse soll erhalten oder verbessert werden, in manchen Rassen soll auch die Leistungsfähigkeit für bestimmte Aufgaben ­erhalten oder verbessert ­werden. Das geht nicht ohne Selektion. Für den Erfolg von Selektionsmaßnahmen gelten aber populationsgenetische Regeln, die sich auch in der Hundezucht nicht umgehen lassen. Eine dieser Regeln besagt, dass der Selektionsfortschritt für jedes einzelne Merkmal umso geringer wird, je mehr Merkmale gleichzeitig bei der Selektion berücksichtigt werden. Wenn man also z.B. ausschließlich gegen HD selektiert und alle anderen Merkmale unberücksichtigt lässt, kann man in Bezug auf HD einen größeren Selektionserfolg erzielen, als wenn man gleichzeitig fünf andere Merkmale miterfasst. Diese Regel lässt sich auch rechnerisch darstellen. Mit Hilfe der Formel: SEn = 1/Wurzel(n) kann man ausrechnen, auf wie viel Prozent der Selektionserfolg für jedes einzelne Merkmal reduziert wird, wenn »n« Merkmale bei der Selektion berücksichtigt werden. Tabelle 1 zeigt die entsprechenden Werte bei Berücksichtigung von bis zu 6 Merkmalen.

Reduzierung des Selektionserfolges bei gleichzeitiger Berücksichtigung von mehreren Merkmalen:

Anzahl selektierter Merkmale – Reduktion des möglichen Selektionserfolges
1  – 100 %
2  –   71 %
3  –   58 %
4   –  50 %
5   –  45 %
6   –  41 %

Bereits bei vier gleichzeitig selektierten Merkmalen reduziert sich der mögliche Selektionserfolg für jedes einzelne Merkmal auf 50%. Man ist daher schon alleine in dieser Hinsicht gut beraten, bei der Auswahl der Kriterien, die bei der Selektion berücksichtigt werden sollen, genau zu überlegen, welche Bedeutung jedem einzelnen Merkmal zukommt. Bei der in der Hundezucht üblichen Form der Selektion wird jede einzelne Eigenschaft gleich gewertet. Egal, wie gut ein Hund in anderen Merkmalen ist, stimmt er in einer einzelnen Eigenschaft nicht mit dem im Rassestandard bzw. in der Zuchtordnung festgelegten Idealtyp überein, gibt es keine Zuchtzulassung. Das macht durchaus Sinn, wenn der Fehler in diesem einen Merkmal mit schwerwiegenden Konsequenzen für Gesundheit oder Leistungsfähigkeit verbunden ist. Eine mittelgradige HD oder eine hochgradige Stellungsanomalie der Extremitäten sind Fehler, die in jedem Fall zu einem Zuchtausschluss führen sollten.

Anders sieht es bei Bagatell­fehlern aus. Denn eines gilt in der Hunde­zucht wie überall anders auch: »Nobody is perfect«. Den perfekten, fehlerfreien Hund gibt es genauso wenig wie den ­perfekten, fehlerfreien Menschen. Genauso wenig gibt es aber Hunde, die nur Fehler haben. Jeder einzelne Hund hat seine individuellen Vorzüge, die im Rahmen der Selektion aber genauso bewertet werden sollten, wie seine Fehler.

Wichtigstes Selektionsmerkmal Gesundheit

Genau genommen, aber eben nicht »genauso«. Denn das Geheimnis einer sinnvollen Selektions­strategie heißt: Gewichtung jedes ­einzelnen Selektionskriteriums nach seiner Bedeutung. In der Zucht landwirtschaftlicher Nutztiere ist diese ­Strategie als Indexselektion bekannt und bewährt. Dabei werden die einzelnen Selektionskriterien nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gewichtet, sodass weniger wichtige Merkmale auf die Selektionsentscheidung weniger Einfluss haben als solche, die für das Gesamtzuchtziel einen größeren Einfluss haben. Was für einen Rassehund von Bedeutung ist, ist natürlich in einem gewissen ­Rahmen eine Frage der Definition bzw. der persönlichen oder rassespezifischen Präferenzen. Geht man aber vom vielfach postulierten Ziel der Zucht gesunder Rassehunde aus, dann sollte die Gewichtung in jedem Fall in erster Linie auf die Bedeutung eines Merkmals für die Gesundheit der Hunde abzielen. In einer bahnbrechenden Studie haben die englischen Autoren Asher et al. (2009) diese Gewichtungsüberlegungen in einem »Generic illness severity index for dogs (GISID)« zusammengefasst. Ohne diesen doch recht kompliziert und aufwändig zu berechnenden Index im Detail übernehmen zu ­müssen, kann man doch durch relativ einfache Überlegungen jedem Merkmal einen »Krankheitswert« zuordnen. Dabei sind ein paar Punkte zu überlegen:

• Wie weit sind Abweichungen in ­diesem Merkmal mit Schmerzen für den Hund verbunden?
• Wie weit sind Abweichungen in diesem Merkmal mit Funktionsstörungen oder Behinderungen verbunden?
• Wie weit führen ­Abweichungen in diesem Merkmal zu einer ­dauernden Beeinträchtigung der Lebensqualität des Hundes?
• Wie weit führen Abweichungen in diesem Merkmal zu einer Ver­kürzung der Lebenserwartung des Hundes?
• Wie weit lassen sich die Abweichungen durch veterinärmedizinische Interventionen beheben?
• Welche Kosten sind mit ent­sprechenden Behandlungen ­verbunden?
• Welche zeitlichen bzw. organisatorischen Belastungen sind mit entsprechenden Behandlungen verbunden?

Es bedarf natürlich auch veterinär­medizinischer Kenntnisse, um alle ­diese Fragen im Einzelfall beantworten zu können. Zuchtverbände sind somit in jedem Fall gut beraten, sich der ­Hilfe von Tierärzten bei der ­Erarbeitung von entsprechenden Zuchtstrategien zu bedienen.

Auf der Basis der ermittelten Krankheitswerte kann eine Gewichtung der in der Selektion berücksichtigten Kriterien erstellt werden. Dabei sollten Merkmale mit einem hohen Krankheitswert eher zu einem Zuchtausschluss führen, Merkmale mit einem geringen Krankheitswert aber insbesondere dann für Zuchttiere auch mal akzeptiert werden, wenn die Population sehr klein ist und/oder wenn andere Eigenschaften mit hohem Krankheitswert in hoher Frequenz in der Population verbreitet sind.
Nachdem hier ja thematisch von Schönheitsfehlern die Rede sein soll, möchte ich an ein paar Beispielen den Aspekt der Erfassung des Krankheitswertes besprechen.

Zähne – heiliger Gral in der ­Hundezucht

Ein sehr häufiger Grund für einen Zuchtausschluss ist das Fehlen einzelner Zähne. Ein vollständiges Gebiss ist in vielen Rassestandards vorgesehen, zum Teil direkt im Rahmen der Beschreibung des Schädels, zum Teil indirekt in Form einer Auflistung von zuchtausschließenden Fehlern. Und hier scheiden sich die Geister. Vom Zuchtauschluss wegen eines einzigen fehlenden P1 bis zur Akzeptanz des Fehlens von mehreren Zähnen reicht die Palette der Zuchtbestimmungen. Eine Differenzierung findet üblicherweise auf der Basis der Funktionalität bestimmter Zähne statt. So ist es inzwischen fast schon Allgemeinwissen, dass die ersten Prämolaren (P1) sowie die letzten Molaren (M3) keine wesentliche Funktion mehr haben (Tölle et al., 2004) und sogar die FCI hat in ihrem Modellstandard im November 2014 folgende Empfehlung gegeben »Empfehlung: Fehlende P1 und M3 sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen evolutionär und nicht vererbbar. Sie sollten deshalb nicht als genetische Fehler betrachtet werden. (FCI-Vorstand, Amsterdam, November 2014)«.
Die Aussage, dass das Fehlen der genannten Zähne nicht vererbbar ist, ist so zwar nicht richtig, denn die ­Bildung bzw. Nichtbildung von Zähnen hat schon eine genetische Grundlage. Richtig ist aber, dass das Fehlen speziell von P1 bzw. M3 als eine evolutionäre Rückbildung nicht benötigter Strukturen zu betrachten ist. Fehlende P1 und/oder M3 sind somit aus funktioneller Sicht als reine Schönheitsfehler ohne Krankheitswert anzusehen. Allenfalls differenzieren kann man zwischen symmetrischem Fehlen und asymmetrischem Fehlen. Denn ­Asymmetrien führen zu ungleichmäßigen mechanischen Verhältnissen. So wäre also das Fehlen von drei P1 ungünstiger zu bewerten als das ­Fehlen von vier P1.

Es spricht nun grundsätzlich nichts dagegen, trotzdem ein vollständiges Gebiss als Zuchtziel zu favorisieren. Das macht allerdings nur dann Sinn, wenn in einer Rasse keine oder nur wenig gesundheitliche Probleme vorliegen. Aus populationsgenetischer Sicht ist es allerdings nahezu fahr­lässig, in einer Rasse, die mit mehreren genetischen Erkrankungen belastet ist, einen Hund aus der Zucht zu nehmen, nur weil ihm z.B. vier P1 fehlen. Das gilt insbesondere dann, wenn dieser Hund in anderen für die Rasse wichtigen Merkmalen dem Zuchtziel vollständig entspricht.

Es mag sogar Rassen geben, bei denen das Fehlen der genannten Zähne einen positiven Gesundheitsaspekt hat. So ist bei Klein- und Zwergrassen das Problem bekannt, dass sich die Zähne nicht im gleichen Ausmaß verkleinern wie der Kiefer. Der dadurch entstehende Platzmangel wird zum Teil dadurch kompensiert, dass es zu einer sog. Kulissenstellung der ­Zähne kommt, d.h. dass sich die Zähne ­querstellen und dadurch dachziegelartig hintereinanderstehen. Dadurch kann der Selbstreinungsmechanismus der Maulhöhle nicht mehr richtig funktionieren, Futterreste bleiben in den engen Zahnzwischenräumen stecken und führen zu Zahnfleischentzündungen. Fehlende P1 und M3 könnten hier somit für mehr Platz für die restlichen Zähne sorgen und damit ein rassetypisches Gesundheits­problem kompensieren.

Jede andere Form von Fehlen sowie insbesondere auch von ­Fehlstellungen von Zähnen bzw. Gebiss sind ­keine Bagatellfehler und auch entsprechend bei der Selektion zu bewerten. Paradoxer­weise ­werden aber bei ­diversen Rassen Gebiss­anomalien wie z. B. Ober­kieferverkürzung bei brachycephalen oder weitgehende Zahnlosigkeit bei haarlosen Rassen im Interesse eines extremen Rassetyps billigend in Kauf genommen, auch wenn dadurch ­tatsächlich gesundheitliche bzw. funktionelle Beeinträchtigungen für den betroffenen Hund die Folge sind.

Die Knickrute – problematisch oder harmlos?

Ein anderer Fehler, der häufig einen Zuchtausschluss zur Folge hat, ist eine Knickrute. Für den betroffenen Hund selbst ist eine Knickrute primär mal völlig belanglos, wäre also im Sinne des bisher Gesagten als reiner Schönheitsfehler zu betrachten. Hier macht es aber Sinn, der Ursache für die Knickrute im Einzelfall auf den Grund zu gehen. Denn der verpönte Knick in der Rute kann sehr unterschiedliche Ursachen haben. Abgesehen von einer rein umweltbedingten Verletzungsfolge im Sinne einer Wirbelfraktur kann eine Knickrute durch verschiedene genetisch bedingte Missbildungen bzw. Entwicklungsstörungen im Bereich der Schwanzwirbelsäule entstehen. In einer ausführlichen Übersichtsarbeit haben Schawalder et al. (2010) insgesamt 11 verschiedene Ursachen für das Auftreten von Knickruten beschrieben. Zwei dieser Möglichkeiten, die Bildung eines Keilwirbels bzw. eines Blockwirbels, können von tatsächlicher Krankheitsrelevanz sein, da sie oft gemeinsam mit gleichartigen Veränderungen im Bereich der vorderen Wirbelsäule auftreten und dort mehr oder weniger schwerwiegende Symptome auslösen können. Röntgenologisch lassen sich Keil- oder Blockwirbel gut von anderen Formen der Knickrute abgrenzen. Es macht somit Sinn, bei einem Hund mit Knickrute, der in der Zucht eingesetzt werden soll, eine Röntgenuntersuchung der Wirbelsäule durchzuführen, um abzuklären, ob es sich in diesem Fall um einen reinen Schönheitsfehler oder aber um eine krankheitsrelevante Veränderung handelt.

Pigmentierungsfehler

Pigmentierungsfehler sind in vielen ­Rassen weitere häufige Gründe für eine Verweigerung der Zuchtzulassung. Zu helle Augen, unerwünschte weiße oder schwarze Flecken, zu wenig intensive ­Färbung oder die berüchtigte Wechselnase zählen hier zu den am häufigsten kritisierten Varianten. Keines der genannten Merkmale ist für den betroffenen Hund mit einem Nachteil verbunden. Schwarze Flecken im Sinne einer Plattenscheckung können im Einzelfall sogar einen positiven Effekt haben. So ist beim Dalmatiner bekannt, dass Hunde mit sogenannten Platten seltener von der rassetypischen sensorineuralen Taubheit betroffen sind (Strain, 2011). Nichtsdestoweniger bekommt ein Dalmatiner mit »Platte« keine Zuchtzulassung.

Es gibt allerdings sehr wohl auch Pigmentierungsvarianten, die in gesundheitlicher Hinsicht nicht unbedenklich sind. Paradoxerweise werden diese oft billigend in Kauf genommen oder sogar bewusst durch Einkreuzen in eine Rasse immigriert. Zu nennen ist hier z.B. die Merle ­Färbung, die auf einer Genvariante beruht, die in homozygoter Form zu ­schwerwiegenden Ausfällen im Bereich des Gehörs bzw. des Sehvermögens führt und die in letzter Zeit z.B. beim Chihuahua und beim Yorkshire Terrier zu finden ist. Oder Verdünnungsfarben, die in Kombination mit bisher noch unbekannten anderen genetischen Faktoren das Auftreten einer Farbverdünnungsalopezie mit Haarausfall und Hautentzündungen zur Folge haben kann und die z.B. beim Labradorretriever zu den in letzter Zeit vermehrt auftretenden Silberlabradors führen.
Es ist ein legitimes Bestreben schöne, dem Rassetyp entsprechende Hunde zu züchten. Bei allem Wunsch nach Schönheit sollte aber das Bestreben nach Gesundheit nicht vergessen werden. Und ebensowenig sollte vergessen werden, dass Hundepopulationen recht strengen populationsgenetischen Gesetzmäßigkeiten folgen, die eine zu strenge Selektion mit dem unwiederbringlichen Verlust an genetischer Vielfalt bestrafen.

Fazit

Gesundheit und genetische Vielfalt gehen Hand in Hand, geht das eine verloren, folgt das andere auf den Fuß. Im Sinne der Erhaltung von genetischer Vielfalt sollten daher bei der Selektion Bagatellfehler ohne Krankheitswert nicht der einzige Grund für einen Zuchtauschluss eines sonst zuchttauglichen Hundes sein.

Zitierte Literatur:

• Asher L. et al (2009):
Inherited defects in pedigree dogs. Part 1: Disorders related to breed ­standards.
The Veterinary ­Journal 182, 402–411
• Schawalder P. et al. (2010):
Kongenitale und ­erworbene Anomalien im Bereich der Schwanzwirbelsäule beim Hund. Wien. Tierärztl. Mschr. – Vet. Med. Austria 97, 185–202
• Strain, G.M. (2011):
White noise: Pigment-associated ­deafness. The Veterinary Journal 188, 247–249
• Tölle, M. et al. (2004):
Die züchterische Beurteilung von Zahn- und Gebissfehlern beim Hund im Spiegel deutscher Körvorschriften. Kleintierpraxis 49(9), 571-583

Das könnte Sie auch interessieren: