Der Maulkorb: Hilfsmittel oder Freiheitsberaubung?

Von Regina Röttgen

Der Maulkorb ist schon lange kein Markenzeichen auffälliger Hunde mehr. Vielmehr hat er neben Leine, Halti und Geschirr heute seinen Platz in der Reihe der Hilfsmittel eingenommen.

Was für uns die Hände, ist für Hunde ihr Maul: Mit ihm erkunden die Vierbeiner Gegenstände, nehmen Futter und Wasser auf, teilen Objekte in ihre Einzelteile und tragen ihr Spielzeug herum. Selbst Abwehrgesten machen Hunde mit ihrem Maul, indem sie die Zähne fletschen. Es ist offensichtlich: Hunde brauchen ihr Maul ständig und für die unterschiedlichsten Handlungen. Trotzdem ist der Maulkorb mittlerweile in zahlreichen Situationen zur Tagesordnung geworden. Meist wird es als Vorsichtsmaßnahme propagiert.

So wird beispielsweise die vielerorts geltende Maulkorbpflicht im öffentlichen Nahverkehr mit der Sicherheit und dem Wohlbefinden von Passagieren begründet. Auch im Ausland ist das Utensil teilweise obligatorisch. Die Beweggründe, seinem Hund einen Maulkorb anzuziehen, gehen jedoch mittlerweile über die Sicherheit anderer Menschen hinaus. Die Gewissheit, dank eines Maulkorbes schwierige Situationen leichter in den Griff zu bekommen, gestattet es Hundehaltern, gelassener mit ihren Vierbeinern umzugehen, ihnen teilweise sogar mehr Freiheit zu bieten.

Zum eigenen Schutz

Auch beim Spaziergang mit einem Hund des Zeichens »Nimmersatt« wird der Maulkorb heute eingesetzt. Denn der Vierbeiner muss ständig vor sich selbst geschützt werden, sonst verschlingt er alles, was ihm vor die Schnauze kommt. Das Gefressene könnte ungenießbar sein und die Snackeinlage im schlimmsten Fall tödlich enden. Ebenso ist der Maulkorb bei Vierbeinern mit einer kulinarischen Vorliebe für die Hinterlassenschaften anderer Tiere bei einigen Hundehaltern mehr als willkommen. Ebenfalls zur Anwendung kommt er bei Allergikern, die grundsätzlich nichts von der ihnen verbotenen Nahrung erwischen dürfen.

Zum Schutz anderer

Bei Rassen, die als sogenannte Listenhunde geführt werden, werden Hunde oftmals bereits beim kleinsten Vorfall aufgrund ihrer Rassenzugehörigkeit zum ewigen Maulkorbtragen verdonnert, sollte dies nicht sowieso bereits gesetzlich verpflichtend sein. Bei Hunden, die bei bestimmten Berührungen hysterisch reagieren oder sich generell nicht gerne anfassen lassen, wird der Maulkorb ebenfalls beim Gassi gehen als Lösung gesehen. Listenhund oder nicht, selbst der gutmütigste Vierbeiner kann zubeißen. Insbesondere nach einer Verletzung respektive bei heftigen oder chronischen Schmerzen bringt so mancher Hund seinen Unmut durch Schnappen zum Ausdruck. Gerade wenn beim Tierarzt die besonders schmerzende Stelle berührt wird, kann dies passieren. Ein Maulkorb ist hier ein kurzzeitiges, teils notwendiges Utensil. Ebenso kann ein Maulkorb dabei unterstützen, unbekannte Hunde ohne Beißvorfälle zusammenzuführen. Gerade Hunde, die eine äußerst unschöne Erfahrung mit einem Artgenossen hinter sich haben und dadurch traumatisiert wurden, können auf bestimmte Rassen oder Situationen mit »prophylaktischem« Beißen reagieren. Sie möchten sich den ungewünschten Artgenossen einfach vorsorglich vom Leib halten.

Zum Schutz bei Krankheit

Nicht immer muss es gleich ums Beißen gehen. So kann sich ein Hund bei juckenden Hautproblemen blutig kratzen oder selbst beißen. Priorität muss hierbei natürlich auf der Linderung des Juckreizes liegen. In solchen Fällen kommt der Maulkorb oft als Alternative zur meist ebenso unbeliebten Halskrause zum Einsatz. Auch hilft der Maulkorb Haltern in der Rekonvaleszenzzeit ihres Vierbeiners nach überstandener Krankheit oder einer Operation: Ein Maulkorb in auffälliger Signalfarbe hält spielwütige Vierbeiner mit Bravour auf Abstand. Sobald die Besitzer von »der-will-nur-spielen« Hunden einen Maulkorb tragenden Hund sehen, nehmen sie ihren eigenen meist umgehend an die Leine.

Training – von klein auf?

Während einige Hunde das seltsame Ding auf der Nase beim ersten Einsatz einfach geduldig hinnehmen, versuchen andere den Maulkorb abzustreifen und geraten teilweise sogar in Panik. Angesichts der zahlreichen Situationen, in denen heute ein Maulkorb zum Einsatz kommt, halten es Hundetrainer und Tierpsychologen für einfacher, den Hund bereits von klein auf an dieses Utensil zu gewöhnen: So wie es heute an der Tagesordnung ist, dem Hund bereits als Welpe das Tragen eines Halsbandes, das Laufen an der Leine und Grundsignale wie »Sitz«, »Bleib« und »Hier« beizubringen, sollte er in Ruhe an das Tragen eines Maulkorbs gewöhnt werden, sodass er es als selbstverständlich ansieht.

Hierfür wird oftmals empfohlen, den Hund ganz spielerisch mit Leckerlis an den Maulkorb heranzuführen. Indem man ihm immer wieder mal ein Leckerli auf die Nase legt oder ihn eines aus Dose, Beutel oder ähnlichen Gegenständen herausholen lässt, gewöhnt sich der Hund daran, seine Schnauze in Dinge zu stecken. Er wird merken: Er wird dafür belohnt. Im nächsten Schritt kann ihm das Objekt dann für kurze Zeit und locker am Kopf befestigt werden. So lernt er, es zu dulden. Natürlich sollte er laut Hundetrainern auch hierfür belohnt werden. Nach diesem Training wird er seinen Menschen im Laden dann vielleicht geduldig verschiedene Maulkorbmodelle ausprobieren lassen. Ist der richtige Maulkorb gefunden, wird geraten, alles bislang Geübte nun mit dem Maulkorb weiterhin zu üben.

Wenn überhaupt, dann nur vorübergehend!

Ob »Unarten«, Allergie oder Beißen, ein Maulkorb sollte, wenn überhaupt, nur sehr selten und stets kurzweilig zum Einsatz kommen. Viel wichtiger: Langfristig intensiv mit dem Hund an dem problematischen Verhalten zu arbeiten, sodass auf ebendieses Hilfsmittel dauerhaft verzichtet werden kann. Meist ist es ratsam, sich dafür professionelle Unterstützung zu holen. Noch besser: Es gar nicht so weit kommen zu lassen. Am besten sollte gleich beim ersten Anzeichen das Verhalten entsprechend korrigiert werden, sodass ein Maulkorb erst gar nicht nötig wird.

Wo ist ein Maulkorb Pflicht?

Österreich: Da Bestimmungen über Maulkorb- oder Leinenzwang von den einzelnen Gemeinden festgelegt werden, gibt es in Österreich keine einheitliche Gesetzgebung zum Tragen von Maulkörben. Jedoch muss neben einer Leine auch ein Maulkorb stets mitgeführt werden. Ebenso gilt teils in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Schiffen eine Maulkorbpflicht. In welchen Gemeinden Maulkorbpflicht besteht, ist unter »Leben in der Gemeinde« auf oesterreich.gv.at zu finden. Übrigens: Maulkorb- und Leinenzwang gilt nicht für Jagd- und Diensthunde im Einsatz und in ausgeschriebenen Hundezonen.

Deutschland: Auch hier gibt es keine bundesweite Regelung. Bis auf Bayern und Hessen müssen als gefährlich eingestufte Hunde in allen Bundesländern Maulkorb tragen. Welche Hunde zu den sogenannten Listenhunden zählen, entscheidet jedes Bundesland, teilweise sogar jede Gemeinde für sich. Da zahlreiche Unternehmen ebenfalls eine Maulkorbpflicht eingeführt haben, gilt diese vielerorts im öffentlichen Personennahverkehr. Dienst- und Hilfshunde sind vom Maulkorbzwang ausgenommen.

Schweiz: Hundegesetze werden auf kantonaler Ebene festgelegt, sodass auch hier keine einheitliche Regelung vorhanden ist. Die für den jeweiligen Kanton gültigen Gesetze können auf www.tierimrecht.org unter »Rechtliches/Hunde-Recht« nachgelesen werden.

Der richtige Maulkorb

Im Fachhandel sollte nicht einfach der nächstbeste Maulkorb gekauft werden. Die Vielfalt an Maulkörben hat ihren Sinn: Je nach Verwendungszweck und Schnauzenform sind unterschiedliche Modelle zweckmäßig.

• Für den Gebrauch in öffentlichen Verkehrsmitteln bieten sich leichte Modelle aus Kunststoff oder Leder an, die problemlos in der Tasche verstaut werden können.
• Die auf den ersten Blick praktisch erscheinenden Maulkörbe aus Nylon, die einmal rund um das Maul verlaufen, sind nur für sehr kurze Einsätze wie einen Tierarztbesuch gedacht. Ihr längerer Einsatz ist tierschutzwidrig.
• Zum Schutz vor sich selbst und anderer Lebewesen sollte Material und Verarbeitung des Maulkorbes Zähnen und starkem Aufprall standhalten.
• Für brachyzephale Rassen sowie für Rassen mit besonders langen Nasen ist es meist schwierig, ein passendes Modell zu finden. Am besten lässt man sich für diese Hunde von einem Maulkorbhersteller professionell beraten.
• Die Passform des Maulkorbes muss für den Hund optimal sein: Der Hund muss mit Maulkorb hecheln und idealerweise trinken können, wobei der Maulkorb ihm nicht in die Augen rutschen oder seine Sicht verdecken darf. Sitzt der Maulkorb zu locker, kann der Vierbeiner ihn abstreifen. Liegt er zu eng an, kann er scheuern oder drücken.

Es geht auch ohne!

Große Kritik an Utensilien wie einem Maulkorb übt Hubert Asam. Für den deutschen Ethopädagogen haben sämtliche Hilfsmittel einen gemeinsamen Nenner, die menschliche Angst. Sie gehören für ihn nicht in den Hundebereich. Die Verwendung und Vermarktung von Hilfsmitteln jeglicher Art hält er für eine rohe und kalte Art, sich als überforderter Hundehalter aus der Verantwortung dem Hund gegenüber zu entziehen. Der Hund wird mit seinem Schutzinstinkt oder Scheuverhalten allein gelassen, ohne dass dieses sozial gefiltert würde. Dem Menschen wird das Hilfsmittel zwar als logische Lösung verkauft, vergiftet Asams Ansicht nach aber »den Brunnen, aus dem die Beziehung Mensch – Hund ihr Lebenselixier holt«. Der Maulkorb schüre oft erst die Aggression, vor dessen Ausführung er schützen soll. Ursache und Wirkung werden zum Teufelskreis. Einen Maulkorb oder selbst eine Schleppleine an seinen Sozialpartner zu binden und ihn damit festzuhalten, empfindet der Ethopädagoge als zutiefst verstörend. Er plädiert dafür, die Beziehung zum eigenen Hund zu optimieren, sodass der Einsatz eines solchen Utensils überflüssig wird. Für den Tierforscher liegt die Lösung in der artgerechten Kommunikation, vor allem aber in der Integration und Erziehung des Hundes. Anstelle zum Maulkorb zu greifen, müsse der Halter ihre beider Lebensumstände so verändern, dass es auch für den Hund passt und er Freude daran hat. Vertraue der Hund dann seinem Halter, so würde er folgerichtig in allen Situationen ein angenehmer Teampartner sein. Mehr zu Hubert Asam und seiner Methode der artgerechten Erziehung gab es in diesem Artikel zu lesen.

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