Hunde können sich grundsätzlich Wörter merken, die wir bestimmten Gegenständen zuordnen. Wie groß die Zahl dieser Wörter bzw. Namen ist, ist unterschiedlich. Tatsächlich gibt es Hunde, die dies besonders gut können und sich eine große Anzahl von Wörtern bzw. Namen oder Begriffen merken. Die Wissenschaft bezeichnet solche Hunde als »GWL-Dogs« (Gifted Word Learner). Diese Fähigkeit würde denen von Kleinkindern entsprechen, so die Wissenschaftler.
Legendär in dieser Hinsicht ist der Border Collie Rico (1984-2008), der 1999 in der Sendung »Wetten, dass …«. 77 Wörter korrekt den damit bezeichneten Spielzeugen zuordnen und bringen konnte. In den folgenden Jahren konnte diese Fähigkeit bei Rico auf über 250 Gegenstände erweitert werden. Spannend dabei war auch die Art, wie der Hund Gegenstände unterschied. Mischte man unter seine bekannten Spielzeuge einen neuen Gegenstand und gab diesem einen Namen, den der Hund natürlich vorher nicht kannte, so konnte Rico offensichtlich im Ausschlussverfahren diesen neuen Gegenstand bestimmen und korrekt apportieren. Ricos Fähigkeit wurde dann von dem Border Collie Chaser übertroffen, der laut einer Studie aus 2011 aus einem Berg von 1022 Spielzeugen korrekt den jeweils geforderten Gegenstand apportieren konnte (Pilley 2011).
Schnelle Zuordnung von Begriffen
»Fast mapping« oder »schnelles Zuordnen« nennt man diesen kognitiven Mechanismus. Bei diesem wird, wie bei Rico im Ausschlussverfahren, ein Zusammenhang zwischen Dingen und Bezeichnungen entwickelt. Lange dachte man, dass dies nur eine Fähigkeit des Menschen sei. Doch im Gefolge des Rico-Hypes nach der »Wetten, dass …« Sendung konnten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nachweisen, dass »fast mapping« auch bei Hunden vorkommen kann.
Verhaltensbiologen der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest, die sich schon seit Jahrzehnten mit der Kognition von Hunden beschäftigen, suchten nun sogenannte Superhunde mit Fähigkeiten, welche denen von Rico und Chaser entsprechen. Hunde, die binnen kurzer Zeit viele neue Wörter erlernen und die sie sich mindestens zwei Monate lang merken können. Zwei Jahre lang suchten die ungarischen Forscher weltweit nach talentierten Hunden, von denen bekannt war, dass sie sich die Namen vieler Spielzeuge merken können. Das Ergebnis dieser langen Suche: sechs außergewöhnliche Border Collies.
Hochbegabte Hunde
»Diese begabten Hunde können neue Namen von Spielzeugen in einer bemerkenswerten Geschwindigkeit lernen«, sagt Claudia Fugazza, Leiterin des ungarischen Forschungsteams. »In unserer früheren Studie fanden wir heraus, dass sie einen neuen Spielzeugnamen bereits nach viermaligem Hören lernen konnten. Aber bei einer so kurzen Exposition haben sie kein Langzeitgedächtnis dafür gebildet.«
Für die neue Studie sollten die Halter daher mehr Zeit damit verbringen, ihren Vierbeinern die Namen neuer Spielzeuge beizubringen. In einem YouTube-Video der Forscher (www.youtube.com/watch?v=G5esin56yGo) ist exemplarisch zu sehen, wie Isabella, die Besitzerin von Gaia – einem Hund, der schon die Namen von über 100 Spielzeugen kennt – dabei vorgeht: Spielerisch wirft sie in dem Clip eine Raffi getaufte Plüschgiraffe immer wieder in die Luft und lässt sie von der jungen Border-Collie-Hündin apportieren, während sie den Namen des Kuscheltiers mehrfach wiederholt.
Der zugrunde liegende Lernprozess ähnele dem beim Erlernen von Kommandos, erklärte Mitautor und Verhaltensbiologe Ádám Miklósi. Die Hunde würden beginnen, bestimmte Wörter mit einer Handlung zu verbinden – hier eben das Bringen eines bestimmten Spielzeuges. Während die durch »Sitz« oder »Platz« angezeigten Verhaltensweisen für die Tiere allerdings eher unlogisch wären, sodass deren Erlernen oft durch den Einsatz von Leckerlis unterstützt werden müsse, sei das Lernen von Objektnamen in einen spielerischen Kontext eingebunden. Die soziale Interaktion könne die Hunde zum Worterwerb motivieren, so Miklósi. Ähnliche Mechanismen seien beim Spracherwerb von Kindern zu beobachten.Innerhalb einer Woche wurden Gaia und den anderen fünf Border Collies auf diese Weise zunächst die Namen von sechs und dann von zwölf neuen Spielzeugen beigebracht. »Es stellte sich heraus, dass dies für diese begabten Hunde keine große Herausforderung darstellte. Sie lernten mühelos zwischen elf und zwölf Spielzeuge«, erklärte Koautorin Shany Dror. Die Forscher testeten die Hunde darüber hinaus noch einen und zwei Monate, nachdem sie die Namen der neuen Spielzeuge gelernt hatten – und stellten fest, dass sie die Begriffe immer noch richtig zuordneten, obwohl sie die Spielzeuge zwischendurch nicht gesehen hatten.
»Unsere Ergebnisse zeigen, dass die hier getesteten wortbegabten Hunde nicht nur in der Lage waren, bis zu zwölf neue Objektnamen in einer Woche zu lernen – eine Lernrate, die mit dem frühen Worterwerb bei Kleinkindern zu Beginn des sprunghaften Vokabular-Anstiegs vergleichbar ist –, sondern dass die meisten von ihnen die Objektnamen auch für mindestens zwei Monate im Langzeitgedächtnis behielten«, fassen die Autoren zusammen. »Damit ebnet diese Studie den Weg für vergleichende Untersuchungen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Verständnis von Objektnamen bei Kleinkindern und wortbegabten Hunden beleuchten.«
Beitrag zur Forschung über die Entwicklung von Modellen
Die Versuchsgruppe sei mit sechs Hunden sehr klein gewesen, geben die Forschenden auch zu bedenken – obwohl im Rahmen der von den Forschern ausgerufenen »Genius Dog Challenge« versucht wurde, über mehrere Kanäle weltweit weitere Tiere zu finden. »Dies stützt unsere früheren Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass die Fähigkeit, Objektnamen zu erlernen, selten und nur bei wenigen begabten Individuen vorhanden ist, von denen die meisten – aber nicht alle – Border Collies zu sein scheinen.« Tatsächlich seien solche bemerkenswerten Fähigkeiten zuvor lediglich bei einem Deutschen Schäferhund, einem Pekingesen, einem Mini Australian Shepherd, einigen Yorkshire Terriern sowie
einigen Mischlingshunden bekannt geworden.
»Hunde sind gute Modelle, um auch menschliches Verhalten zu studieren, da sie sich in der menschlichen Umgebung entwickelt haben und entwickeln«, resümiert Miklósi. »Mit diesen talentierten Hunden haben wir die einmalige Gelegenheit zu untersuchen, wie eine andere Spezies die menschliche Sprache versteht und wie das Erlernen von Wörtern die Art und Weise beeinflusst, wie wir über die Welt denken.« Außerdem seien begabte Hunde auch deswegen interessant, weil sie zeigten, dass es auch unter anderen Spezies Individuen gebe, die einzigartig talentiert seien: »Mit Hilfe dieser Hunde hoffen wir, die Faktoren, die zur Entwicklung von Talent beitragen, besser zu verstehen.«
Zitierte Literatur
• John W.Pilley, Alliston K.Reid. Border collie comprehends object names as verbal referents. Behavioural Processes 2011, 86; 2:184-195.
• Shany Dror, Ádám Miklósi, Andrea Sommese, Andrea Temesi and Claudia Fugazza. Acquisition and long-term memory of object names in a sample of Gifted Word Learner dogs. R. Soc. Open Sci. 8: 210976 https://doi.org/10.1098/rsos.210976